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Quelle Text/Bilder/Videos: ZEIT ONLINE vom 25.11.2023

Der perfekte Wurf

Jeder Wurf ein Strike?
Ist möglich – mit der richtigen Technik.
Und die ist lernbar, auch für Bowling-Anfänger.
Spin, Öl, Winkel müssen passen.
Wir zeigen, wie´s geht.

Birgit Noreiks’ Sport ist einer der unterschätztesten überhaupt. Noreiks, 37 Jahre alt, ist Nationalspielerin und mehrfache Deutsche Meisterin im Bowling. Viele sehen darin nur einen Sport für Kindergeburtstage oder Firmenfeiern. Wahrscheinlich, weil auch Anfänger mal einen Strike schaffen. Mit Glück. Noreiks aber will mit möglichst jedem Wurf striken. 300 Punkte sind ihr Rekord für eine Bowlingrunde. Mehr geht nicht.

Sie muss dafür eine der komplizierten Bewegungen im Sport beherrschen und äußere Einflüsse kontrollieren, von denen Bowlingneulinge gar nicht wissen, dass es sie gibt. Noreiks hat uns mitgenommen auf die Suche nach dem perfekten Bowlingwurf. Wir haben mit ihr in einem Berliner Bowlingcenter gedreht und ihren Wurf analysiert. Dort haben wir gelernt, auf wie viele Details es ankommt, wenn der perfekte Bowlingwurf gelingen soll: Es geht dabei um Spin, Ölbilder und den optimalen Einschlagwinkel.

So ergibt sich eine Anleitung, wie der perfekte Wurf im Profisport gelingt. Aber auch, wie Anfängerinnen und Anfänger mit wenigen Kniffen auf der Bowlingbahn aussehen wie Jesus Quintana aus The Big Lebowski.

Die Null-Stellung

Der Wurf beginnt in der Ausgangshaltung, der sogenannten Null-Stellung. Bevor Noreiks den ersten Schritt macht, stellt sie sich hin, den linken Fuß leicht vor dem rechten. Schon das ist wichtig, denn beim Bowling geht es um jedes Detail.

Den Ball hält sie mit dem Daumen und dem Mittel- sowie dem Ringfinger. Nicht mit dem Zeigefinger, den Fehler machen viele Anfängerinnen. "So kann man den Ball besser festhalten", sagt Noreiks, "mit dem kleinen und dem Zeigefinger kann man den Ball führen."

Pendel- und Standphase

Die zweite Phase erinnert an ein Pendel, weil die Bowlingkugel am Arm nach hinten und wieder nach vorne schwingt. Wichtig ist, dass das locker passiert, ohne Kraftanstrengung, sagt Noreiks. "Der Ball ist das führende Objekt, der Körper folgt."

Klingt einfach, ist aber knifflig. "Wer immer wieder striken will, muss immer wieder die gleiche Bewegung wiederholen können", sagt der Nationaltrainer Peter Lorenz, der auch Birgit Noreiks seit vielen Jahren trainiert. "Dafür muss man Kontrolle erzielen. Das ist das technisch Schwierigste am Bowling."

Noreiks wird vier Schritte bis zur Foullinie machen, die sie nicht übertreten darf. Den ersten Schritt macht sie mit rechts, damit sie den letzten mit links machen kann. Als Rechtshänderin würde sie sich sonst gegen ihr (rechtes) Bein werfen.

Der Bundestrainer Peter Lorenz sagt, die letzte Phase im Stand, die Ballabgabe, sei die wichtigste beim Bowling. "Es geht darum, die aufgebaute Energie in einen kontrollierten Wurf zu übertragen."

Noreiks hält mit dem rechten, dem Schwungbein, und dem linken Arm das Gleichgewicht. Den Wurfarm lässt sie lange auspendeln. Erst dann beendet sie die Wurfbewegung.

Bis zur Ballabgabe können auch Hobbyspieler die Bewegung nachahmen und den Ball gerade Richtung Pins werfen. Damit ist der Sieg in der Geburtstagsrunde schon ziemlich sicher. Den Spin, bei dem Profis wie Noreiks den Ball extra andrehen, kriegt man dagegen nur mit sehr viel Übung hin. Sie nutzen dafür extra den Strikeball, der anders als der übliche Spareball nicht einfach gerade rollen soll, sondern in einer Kurve.

Bälle

Von Partys in Bowlingcentern kennt man nur den Spareball. Weil die Anfänger eben nur gerade werfen können. Die Bälle unterscheiden sich in ihrer Oberfläche und ihrem Kern.

Das Gewicht liegt bei den Profis meist bei 14 oder 15, maximal bei 16 Pfund (6,3 bis 7,3 Kilo). Umfang: maximal 27 Zoll (68,58 cm). Wer regelmäßig spielt (und besser werden möchte), sollte übrigens bald über einen eigenen Ball nachdenken. Denn in Bowlingcentern sind die Löcher standardmäßig in die Bälle gebohrt, also nicht individuell angepasst. Man nimmt also nicht den Ball mit dem passenden Gewicht, sondern den, in den die Finger passen. So sind die Bälle entweder zu leicht oder zu schwer: beides schlecht für einen kontrollierten Wurf. "Man muss den Arm noch entspannt pendeln können", sagt Peter Lorenz. "Der Ball darf aber auch nicht so leicht sein, dass man ihn irgendwohin pfeffert."

Das Ölbild – Was alles noch komplizierter macht

Bowlingbahnen sind 18,29 Meter lang (Abstand von der Foullinie bis zum ersten Pin) und 1,04 Meter breit. Auf jeder Bahn wird mit einer Maschine Öl aufgetragen, wodurch ein sogenanntes Ölbild entsteht. Ursprünglich sollte das Öl die Bahn schützen, inzwischen sind die Ölbilder eine weitere Schwierigkeit auf der Suche nach dem perfekten Wurf. Denn das Öl beeinflusst den Lauf des Balls.

Die Ölbilder werden vor einem Wettkampf ausgehängt, auch in vielen Bowlingcentern hängen sie. Noreiks muss sich das jeweilge Bild vor jedem Spiel genau angucken und ihren Wurf anpassen. Und dann verschieben die Bälle das Öl auch noch, es wandert mit der Zeit Richtung Bahnende. Der Bundestrainer Peter Lorenz sagt: "Wer eine Strikechance haben will, muss im Verlauf eines Wettkampfs sehr genau darauf achten, wo das Öl ist und wo es sich hinbewegt und seinen Wurf entsprechend anpassen."

Warum der perfekte Wurf nicht immer gelingt

Bowling gehört zu den technisch anspruchsvollsten Sportarten, wie etwa Skispringen oder Stabhochsprung. Hakt es an einer Stelle, bricht alles in sich zusammen. "Wenn es zu Beginn der Bewegung schon nicht passt, kann es am Ende auch nicht passen", sagt Noreiks. Häufig passieren Fehler während der Pendelbewegung wegen schlechten Timings. Zum Beispiel, weil man den Ball zu spät nach hinten bewegt. "Dann steht man vorne und fällt um, weil einen der Ball zur Seite zieht." Passiert sogar Noreiks noch manchmal.

99 Prozent aller Hobbyspielerinnen und -spieler machten die Wurfbewegung zu schnell, sagt der Bundestrainer Peter Lorenz. "Sie werfen den Ball einfach nur weg, dabei will man Kontrolle über ihn haben." Auch Profis passiert das – in geringerem Maße – ab und zu. Lorenz nennt einen einfachen Trick: arrogant sein. Also Kinn ein Stück nach oben nehmen, dadurch bleibt der Oberkörper oben und man bewegt sich automatisch langsamer.

Das Schwierige für Profis: Sie müssen den perfekten Wurf Runde für Runde wiederholen. Bowlingspieler finden deshalb, der mit Abstand wichtigste Aspekt sei die Konzentration.  "Wir sagen, die Wettkampfleistung ist zu 90 Prozent von der Psyche abhängig", sagt Peter Lorenz. "Jede Spielerin sucht die Ausgeglichenheit. Wer während des Wurfs nicht unnötige Denkprozesse abschalten kann, wird passiv – und kann nicht striken."

Dann die ständige Anpassung an die unterschiedlichen Ölmuster. Vor jedem Spiel gilt es, sich in der 10- bis 15-minütigen Vorbereitungszeit darauf einzustellen. Manchmal gelinge das bis zum Ende des Spiels nicht, sagt Noreiks.

Und manchmal hat man einfach Pech: Der Ball kommt beinahe perfekt, der letzte Pin, der noch fallen muss, wackelt, aber er fällt einfach nicht um.